6. Dezember: Elena

Manchmal fühlt es sich so an, als wäre jeder Tag gleich. Nicht schlecht. Einfach gleich. Ich gehe ins Café, wo ich einer Mischung aus glücklichen, vorweihanchtsfreudigen und mürrischen Winterhassern begegne. Ob jemand zur einen oder anderen Sorte gehört, erkenne ich innerhalb eines Augenblicks. 

„Cappuccino.“ Wintermuffel. 

„Einen Zimt-Vanille-Milchshake mit extra Schlagsahne, bitte.“ Kuschelsockentante. 

„Ich habe mein Notizbuch hier verloren.“ Idiot.

Verwirrt schaue ich vom Orderman auf und sehe den Jungen vor mir. „Notizbuch?“

Der Junge fährt sich mit der Hand durch seine braunen Haare. „Ein Lederbuch. Ausgefranste Seiten. Ich habe es letzten Donnerstag hier vergessen. Zu 98%.“ 

Er sieht mich hoffnungsvoll an. 

Ah. Das Lederbuch. Noras Lederbuch. Das bedeutet … „Bist du Simon?“

Wahrscheinlich-Simon sieht zuerst erleichtert aus, dann mustert er mich vorwurfsvoll.

„Hast du das Buch gelesen?“

Ups. Ich kratze mich an der Schläfe. „Sagen wir, dass sich das Buch selbst geöffnet hat. Auf der ersten Seite.“

Jetzt wirkt er definitiv genervt. „Kann ich es bitte zurückbekommen?“

„Kannst du einfach bestellen? Wir warten hier schon ewig.“ Einer von der Kategorie Ende-des-Jahres-bedeutet-nur-Stress steht schon vor Koffeinentzug zitternd mit verschränkten Armen da. 

„Sie kommen sofort dran“, wende ich mich mit meinem Kundenlächeln an den Mann und mit demselben Ausdruck sehe ich Simon an. „Das Lederbuch ist im Besitz meiner Freundin, die heute ihren freien Tag hat. Du kannst dich darauf verlassen, dass sie sich gut darum kümmert und es dir morgen bringen wird. Komm also einfach morgen Nachmittag vorbei und du bekommst dein Buch. Wenn du nichts bestellst, dann muss ich dich bitten zu gehen.“

Simon nickt und geht.

Mein Blick fällt auf das Lederbuch, das neben der Kaffeemaschine liegt.