When life gives you Erdbeerlimonade

Barista POV #1

 

Mit präziser Schreibmaschinenschrift vollende ich das Getränk des Tages, die Limonade alla Rousseau.

Scheiße. „Leon, wie heißt nochmal die Limonade für heute?“, rufe ich in das Café hinein, wo mein Arbeitskollege Leon gerade Fenster putzt.

„Keine Ahnung irgendwas Rotes. Schmeckt wie Erdbeere“

Was ihr nicht wisst, ist, dass Leon ein vollkommen hirntotes Geschöpf ist. Also weiß ich nicht, warum ich ihn überhaupt frage. Ahhh, genau. Rouge. Mit dem Ärmel wische ich das letzte Wort weg und schreibe Rouge hin. Der Philosophietest morgen beansprucht die Hälfte meines Gehirns und erst wenn ich den hinter mir habe, kann ich mich auf Dinge konzentrieren, die mir wirklich etwas nützen, wie: Zu Hause aufräumen, meine Wollreste aussortieren oder meine Spotify Schlafplaylist machen. Der erste Song hat mir mal gut gefallen, aber seit Leon gesagt hat, dass er ihn mag, hasse ich ihn. Gleich, wie ich ihn hasse. Er hat die Fenster nicht ordentlich geputzt, deshalb muss ich das auch noch übernehmen und meine Liste an Sachen, die ich zu erledigen habe, wächst und wächst. Mein Blick fällt auf die Tischdeko und das Menü, welches schon seit Wochen nicht ausgetauscht wurde. Vielleicht wären Pastelltöne schön? Ein bisschen Osterstimmung? Gefärbte Eier! Oh, ich muss unbedingt Eier kaufen gehen. Schon seit Tagen vergesse ich mir eine Liste zu schreiben und wenn ich dann endlich im Supermarkt bin, vergesse ich die Hälfte. Eier, Zimt, Honig, Kurkuma. Milch. Bananen. Kritzle ich auf eine Serviette und stecke sie mir in die Hosentasche.

In der Ecke neben dem Fenster liegt ein Bernersennen, der mich vorwurfsvoll anschaut. Ich seufze und ziehe meine Schürze aus.

„Leon, kannst du kurz alleine hier die Stellung halten? Ich muss nur schnell nach Hause meine Fische füttern und mit Bernie spazieren gehen.“ Ich warte seine Antwort nicht ab und nehme Bernie an die Leine. „Ach ja, und bestell Kaffeebohnen!“

 

Kurz, nachdem ich das Café verlassen habe, läutet mein Telefon.

Hallo, Mama.

Mir geht’s gut.

Nein, wirklich.

Ich gehe zur Schule. Und ich habe Freunde gefunden.

Äh, Leon.

Ich habe mich an die Stadt gewöhnt.

Ja, ich dich auch.

Mama, ich habe sogar eine Arbeit gefunden. Ich bin jetzt ganz groß geworden!

Ich dich auch. Tschüss.

 

Ich lege auf und atme tief durch.

Im Naturzustand wäre ich jetzt nicht in dieser Situation. Wir hätten auf dich hören sollen, Jean-Jacques Rousseau, oder was sagst du, Bernie? Dieser starrt mich einfach nur an.

 

Bäcker POV

 

Nach einer Stunde gebückt über herzförmigen Macarons und Törtchen, mit Erdbeer-Buttercreme verzierten Rändern, schmerzt mein Rücken so sehr, dass ich mich beim Tisch abstützen muss, um mich langsam aufrichten zu können. Ein angenehmes Knacken durchfährt meine Wirbelsäule und ich kann endlich wieder atmen. Zufrieden schaue ich auf mein Werk hinab. Ein Meer aus pastellfarbenem Gebäck erstreckt sich über meine Arbeitsfläche. In einer Schüssel liegen kandierte Mandeln, in buntem Zuckergussmantel, die aussehen wie kleine Ostereier. Im Kühlschrank sind noch die Schokoosterhasen, die ich bis zum Abend noch mit Marshmallows und essbarem Glitzer und Perlen füllen muss. Es gibt so viel zu tun. Doch zuerst brauche ich eine Pause. Vorsichtig packe ich die Macarons und die Törtchen in Kartone und trage sie hinüber zum Café, wo ich von einem neugierigen Hund begrüßt werde.

„Ja, hallo!“ Ich lege die Kartone auf einem der Tische ab und beginne den Hund hinter den Ohren zu kraulen. „Wer bist denn du? Hm? Du bist ja ein ganz süßer!“

Der Hund hechelt mich an und legt sich dann auf den Rücken, damit ich nicht vergesse, seinen Bauch zu streicheln.

„Das ist Bernie“, erklingt eine Stimme hinter mir.

„Bernie, hm? Weil er ein Bernersennenhund ist?“ Ich schaue zurück und erkenne die Kellnerin des Cafés wieder, die sich neben mir hinkniet und Bernie beginnt zu streicheln.

„Eigentlich heißt er Sir Bernardo Richardson Paul III“ Das Mädchen tastet Sir Bernardos Halsband ab, bis sie ein Namensschild findet. Und tatsächlich steht darauf der volle Name des Hundes.

Ich muss lächeln und sehe dem Mädchen direkt in ihre kaffeebraunen Augen. Im direkten Sonnenlicht kann ich ein paar hellere Stellen erkennen, die ihren Augen Wärme verleihen. „Hast du auch ein Halsband auf dem dein Name steht, oder verrätst du ihn mir?“ Sie senkt den Blick wieder zu Bernie, doch ich kann ein Lächeln an ihren Mundwinkeln zucken sehen.

„Nora.“

„Schön dich kennenzulernen, Nora“ Unsere Hände streifen sich, als wir Bernie an der gleichen Stelle streicheln wollen.

„Ich bin übrigens...-“

„Michael, ich weiß.“

Ihre Wangen werden rot und sie deutet auf meine Uniform: „Du hast ein Namensschild“ Sie steht auf und greift nach den Packeten. „Die sind fürs Café, richtig?“ Sie wartet meine Antwort nicht ab und stürzt hinein.

Ich sehe ihr kurz nach und dann verwundert zu Bernie runter. „Aber ich trage heute gar kein Namensschild.“

Bernie hechelt mich weiter an, ihm scheint alles egal zu sein, solange er gestreichelt wird.


Barista POV #3

 

Puhhh. Das war knapp. Meine Wangen fühlen sich heiß an und ich halte mein Gesicht kurz in den Kühlschrank unter dem Tresen. Es ist jetzt schon über eine halbe Stunde her, aber ich kann nur immer wieder daran denken, wie sich unsere Finger berührt haben. „Reiß dich zusammen!“, sage ich mir laut und stehe auf, wobei ich mir den Kopf an der Tresenkante stoße. Verdammt. Au. Das tut weh. Ich reibe mir die gestoßene Stelle, während ich die Einkaufsliste mit den Einkäufen vergleiche. Die Einkäufe hat Leon erledigt, also ist meine Kontrolle dringend nötig, denn der Junge wüsste nicht, was er kaufen soll, wenn ich ihm Bilder ausdrucken würde. Erstaunlicherweise hat er mehr oder weniger die richtigen Produkte gekauft. Nur fehlen die Zitronen. Zitronen, die eine essenzielle Rolle für das Getränk des Tages spielen.

„Leon!“ Dieser sieht erschrocken von dem Tisch auf, den er seit fünf Minuten verträumt putzt.

„Zitronen.“

„Zitronen?“, wiederholt Leon.

„Sie sind nicht da.“

„Oh, ich habe sie liegenlassen.“

Dieser Schwachkopf.

„Wo?“

„Bei Michael.“

„Michael?“, wiederhole ich diesmal ungläubig.

„Der Bäcker von nebenan.“

„Leon, ich weiß, wer Michael ist. Ich frage mich nur, warum du die Zitronen dort liegengelassen hast. Ach ist ja egal, geh sie holen.“

Leon tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Kannst du bitte gehen? Ich kann dem ganzen Gebäck nicht widerstehen…und mein Bankkonto leidet schon darunter.“

Hirntot.

Auf dem Weg zur Bäckerei werden meine Wangen wieder warm. Als ich sie betrete, sehe ich keine Zitronen.

„Entschuldigung, hast du irgendwo einen großen Sack mit Zitronen gesehen?“, frage ich die Angestellte hinter der Theke.

Diese schüttelt den Kopf und ruft: „Michael, hast du Zitronen gesehen?“

Michael erscheint mit mehligen Händen, die er an seiner Schürze abwischt.

„Nein, ich habe keine mehr.“ Dann sieht er mich an. „Hallo Nora, so sieht man sich wieder.“ Er lächelt und ich lächle zurück. Was für ein schönes Lächeln. Dann fallen mir die Zitronen wieder ein. „Mein Kollege, Leon, hat gesagt, er habe hier Zitronen liegen lassen.“

Michael lacht. „Das ist unmöglich. Nachdem er hier drei Mohnschnecken verdrückt hat, hat er ganz bestimmt den Sack Zitronen mitgenommen.“

Warum sollte Leon lügen? „Ganz sicher?“

Michael nickt. „Ganz sicher.“

„Gut, dann geh ich mal wieder, tschüss!“

„Nora, warte!“ Michael verschwindet kurz nach hinten.

Als er wieder erscheint, hält er eine Schachtel mit verschiedenfarbigen herzförmigen Macarons in der Hand, die er mir hinhält.

Seine Wangen werden so rot, wie sich meine anfühlen, als sich unsere Finger wieder berühren.

„Es würde mich freuen, wenn du mit mir mal einen Kaffee trinken würdest, oder so.“

Die Angestellte quietscht und kichert dann.

„Das würde mich auch freuen. Ich weiß zufällig, wo es den Besten gibt.“

Wir lächeln uns an und als ich auf dem Rückweg den Sack mit Zitronen unter einem der Tische neben Bernie sehe, erinnere ich mich, Leon nicht allzu hart zu bestrafen.