Bittersüß

Schutz vor der nassen Kälte suchend, warte ich an die Scheibe eines Cafés gepresst. Meine Finger frieren, während ich in das warme Lokal hineinschaue. Mein Atem beschlägt die Scheibe und hin und wieder durchfährt mich ein Zittern. Das Plätschern des Regens übertönt nur fast das heitere Gelächter der frisch verliebten Pärchen, die sich schokoladetrinkend tief in die Augen sehen und ihre Herzen Salti springen lassen. Gerötete Wangen auf sanfte Liebeserklärungen und Versprechen sich bald wiederzusehen. Wie schön es sein muss, jemanden zu haben, der einem in den banalsten Momenten Gesellschaft leistet. Aber na ja. Alles zu seiner Zeit, schätze ich. Als ich schon weitergehen will, treffen sich unsere Blicke. Seine, vom warmen Licht erhellten Augen, mustern meine, vom kalten Wind tränenden, und ein Lächeln huscht über seine Lippen.

Nach all den Jahren werden meine Wangen immer noch warm, wenn ich ihn sehe. Lächerlich. Mein Lächeln versteckend, senke ich den Kopf und spüre schon die bekannte Wärme in meinem Gesicht. Als ich meinen Kopf wieder hebe, ist er verschwunden. Ein paar Sekunden lasse ich meinen Blick durch das Café schweifen, doch bald erinnert mich die Uhr an der Wand, dass ich zur Arbeit sollte. Noch ein letztes Mal mustere ich den Platz, wo er gerade eben noch gestanden hat und dann laufe ich durch den Regen auf die andere Straßenseite in die Bäckerei.

Die Glocke über der Tür klingelt, als ich die kleine Bäckerei betrete und sofort begegnet mir der Duft von warmen Zimtschnecken und Zitronenmuffins.

Aus dem Hinterbereich der Bäckerei höre ich das Summen der Öfen und das Klacken von Schüsseln. „Ich komme gleich!“, schreit meine Chefin und kurz darauf erscheint eine Frau mit hochgekrempelten Ärmeln und roten Wangen. In den Händen hält sie eine Ladung frischer Macarons. Sie sind rot und wie Herzen geformt, gefüllt mit rosa Creme.

„Guten Morgen!“ Ich versuche den Schlamm auf meinen Schuhen abzustreifen und ziehe meine Jacke aus, die schon eine kleine Pfütze auf dem Boden verursacht hat.

„Ah, Lara, eigentlich kannst du deine Sachen anlassen, du müsstest diese Bestellung liefern.“

Ich unterdrücke ein Seufzen, mein Blick wandert zum Fenster, wo mich der Anblick vom strömenden Regen begrüßt, vor dem ich gerade geflüchtet bin. Stattdessen setze ich ein Lächeln auf und nicke. „Natürlich, wohin?“

Bitte nicht weit weg. Bitte nicht weit weg!

„Nur über die Straße ins Café.“

Oh. Dann kann ich ihn ja schon so bald wiedersehen.

Während ich mit den Macarons durch den kalten Regen laufe, bleiben meine Wangen warm durch die Vorfreude.

Mit einem schnellen Blick scanne ich das Café nach ihm ab, aber ich kann ihn nirgends sehen. Vorsichtig stelle ich den Karton mit den Macarons auf die Theke und eine junge Mitarbeiterin, die mit dem Rücken zu mir die Milch schäumt, schaut über die Schulter und versichert mir, dass sie gleich da ist, um meine Bestellung aufzunehmen.

„Kein Stress“, erwidere ich und senke meinen Blick auf den Karton vor mir. Er ist in demselben grau-blau, wie die Hauswand der Bäckerei, und in schöner Typewriterschrift steht darauf „Vicky’s Backwaren“ und darunter „Süßes, sättigendes und so viel anderes aus Teig und Liebe“.

Es haben sich ein paar Tropfen auf dem Deckel gesammelt und ich kippe ihn leicht, damit die vielen kleinen Tropfen zu einem Großen werden. Aus Versehen kippe ich den Karton zu viel und ich schütte die Tropfen auf die Theke.

„Jetzt bin ich hier, was kann ich für dich zubereiten?“ Die Angestellte - auf ihrem Namensschild steht Lea - lächelt mich an.

Erschrocken wische ich schnell die Tropfen von der Theke. „Ah, ich will nichts trinken. Ich bin eigentlich nur hier, um die Bestellung hier zu liefern.“

Verwirrt schaut Lea auf den Karton. „Wir haben heute nichts bestellt.“

Ich bin mir ganz sicher, dass meine Chefin mir aufgetragen hat, es hierher zu bringen und das sage ich der Angestellten vor mir auch.

Auf der Suche nach jemandem schaut sie sich im Café um und winkt denjenigen zu sich. Ich drehe mich um und es fühlt sich an, als würde genau in diesem Moment das Lied wechseln, die Menschen verschwinden und zwei Scheinwerfer, die nur auf uns beide gerichtet sind. Natürlich übertreibe ich, aber es fühlt sich an, als hätte ich einen Schlag in die Kehle bekommen, und mir bleibt die Luft kurz weg. Seine Augen sind wieder auf meinen, und seine lächelnden Lippen öffnen sich ganz langsam, und ich kann nicht wegsehen. Ich höre nicht, was er sagt, als er auf uns zukommt und es könnte mir nicht weniger egal sein.

Seine Haare sind so perfekt flauschig und meine Finger würden töten, um sich in ihnen vergraben zu dürfen. Er ist nahe genug, dass ich eine leichten Erdbeergeruch erhasche. Ich atme noch einmal tief ein … ahh ich liebe Erdbeere. Dann rieche ich aber genauer, während er sich vorbeugt und mit Lea spricht. Schnüffel. Schnüffel. Seltsam künstlich und süß. Ist das von einer … Ein Blick zu seiner hinteren Hosentasche bestätigt meine Angst. Ew. Eine Vape.

„Hey Süße, bin ich so heiß?“ Er lehnt arrogant gegen die Theke. Ew.

Meine ganzen Vorstellungen über ihn sind genau in diesem Moment zerplatzt und von der Anziehung bleibt nichts mehr übrig.

„Jetzt nicht mehr.“ Ich nehme den Karton wieder. „Süßer.“

Ich drehe mich um und will schon gehen, da versperrt jemand den Weg.

Vor mir steht ein patschnasser Junge, dem braune Wellen in die Augen hängen.

„Die Macarons, … die habe ich bestellt.“

„Es tut mir leid. Ich habe sie hierher bestellt, weil ich dachte … egal. Ich wusste nicht, dass es so aus Kübeln schüttet, sonst wäre ich selbst hinübergegangen zur Bäckerei.“

Mir rollt eine Träne die Wange hinunter. Nicht, weil ich so verliebt in diesen Jungen war, der nur ein Idiot ist, sondern, weil ich frustriert bin. Immer wieder steigere ich mich in meine Fantasien hinein, ohne überhaupt mit jemandem gesprochen zu haben.

„Ist ja egal. Hier ist deine Bestellung.“ Ich drücke ihm den Karton in die Hand, ohne ihn anzuschauen und stürme aus dem Café in den strömenden Regen.