10. Dezember: Nora

Nora


“Wir sagen euch an den lieben Advent,

sehet die zweite Kerze brennt, 

so nehmet euch eins um das andere an,

wie auch der Herr an uns getan, 

freut euch ihr Christen, freuet euch sehr,

schon ist nahe der Herr.”

 

Elena singt wie immer extra schief, damit es mehr nach ‘Kindergesang’ klingt. Doch das ist mir egal. Ich betrachte die zwei leuchtenden Kerzen und ich bin glücklich, dass ich eine Mitbewohnerin habe, die mit mir die Adventszeit feiert, in der ich so gerne zu Hause bei meiner Familie wäre. Elena steht auf, um den Tee aufzustellen und ich begleite sie in die Küche, um Kekse zu holen. 

Vorsichtig platziere ich ein paar selbstgebackene, ein paar aus dem Café mitgebrachte Kekse auf einem Teller und bringe sie zurück ins Wohnzimmer, wo ich mich in die Decke auf der Couch kuschle und schonmal bei Netflix einen Weihnachtsfilm raussuche. 

“Wie wäre es mit ‘Love, actually’?”, rufe ich in die Küche.

“Klingt gut. Actually, wollte ich dich was fragen.” Elena erscheint in der Tür. “Wie sieht es eigentlich mit deinem Crush aus? Denkst du, er kommt wieder?”

Ich zögere. “Ich weiß nicht. Kann sein, dass wir ihn vergrault haben. Er hat aber nach meinem Namen gefragt, was denkst du, was das bedeutet?”

“Eindeutig, dass er dich anzeigen will.”

Erschrocken setzte ich mich auf. “Was?!”

“Scherz. Ich denke, das heißt, dass er auf dich steht. Was sollte ihn sonst dein Name interessieren?”

Ich zucke mit den Schultern. “Vielleicht schreibt er mich in sein Death Note, weil ich sein Buch gelesen habe.”

“Du hast es gelesen?”

“Nein, also nicht wirklich. Nur die eine Seite.”

“Und was war da geschrieben?”

Ich versuche mich daran zu erinnern. “Ein Liebesgedicht, glaube ich. Er muss es im Café geschrieben haben, weil er hat auch die Aussicht gezeichnet.”

“Aha! Ein Liebesgedicht über dich!”

Ich werfe einen Lebkuchen nach ihr. “Sei nicht albern, er kennt mich doch gar nicht. Setz dich einfach her, ich will den Film schauen.”

Gehorsam setzt sich Elena zu mir unter die Decke.

Doch während ich den Film so schaue, lässt mich der Gedanke nicht los, dass er mich vielleicht wirklich wahrgenommen hat.