Ich bin hier

Ich bin hier.

Wie lange, weiß ich selbst nicht genau.

Gefangen in der kalten, nassen Dunkelheit.

Sie hält mich fest umschlossen und lässt mich nicht los.

Ich bin hier. 

Doch eigentlich möchte ich es nicht sein.

Ich wehre mich. Kämpfe an gegen die eisernen Ketten an meinen Gelenken.

Ein Schrei löst sich aus meiner Brust.

Tränen fließen mir über die kühlen Wangen.


“Warum möchtest du fliehen?”, hallt es durch die steinernen Mauern.

“Warum bleibst du nicht bei mir? Ich schütze dich, vor der grausamen Welt da draußen! Komm, bleib bei mir!”


Ich bin hier. 

Wie lange, weiß ich nicht genau, aber lange genug, um die Welt da draußen nicht mehr zu kennen.


—--


Sie ist in der Höhle.

Ihr Herz lässt langsam nach und ihre Tränen graben sich tief in ihre Haut.

Sie wird sterben.


Sie wird sterben, wenn sie länger dort drinnen bleibt.

Dort drinnen lebendig verwest und sich selbst im Weg steht. 

Sie müsste sich das nicht antun. Sie wird nicht gefangen gehalten.

Sie könnte gehen. Sie könnte.

Doch sie will nicht. 

Mit jedem Tag verschwimmt ihr Gedächtnis an die Außenwelt und sie kann sich nicht erinnern, wie sie sich die Ketten angezogen hat.

Die Fackel ausgeblasen hat und Schutz in der bekannten Kälte ihrer Gedanken gesucht hat.

Sie wird sterben.

Zumindest das “Sie”, das wir kennen.

Vielleicht wird ihr Körper weiter existieren, doch das Licht in ihren Augen wird erlöschen.

Und vielleicht ist das das Tragische - niemand kann sie retten. 

Nur sie.

—--

AUßEN/SONNENUNTERGANG


SIE steht an einer Klippe. Lange Kamerafahrt von hinten auf sie zu, bis nur noch ihr Zopf zu sehen ist, der im Wind leicht hin und her schwingt.



V/O

Vielleicht war es genau dieser Moment, in dem sie es realisierte. In dem sie merkte, dass die Sonnenstrahlen sich ihren Weg in ihre Augen erkämpfen wollten. Der Moment, in dem sie sich wieder erinnerte, an die Welt da draußen.


Kamera bleibt statisch. Sie dreht sich langsam um. Zunächst nur ihr Profil, dann ihr ganzes Gesicht frontal im Fokus.


V/O

Der Moment, in dem sie sich selbst retten wollte.

Sie lächelt, mit einer Träne im Auge.

CUT.

—--

Sie ist wieder glücklich. Nicht, weil sie geheilt ist. Nein. Sie ist glücklich, weil sie sich noch eine Chance gegeben hat. Eine wirkliche Chance. Und natürlich gibt es Tage, an denen sie sich in ihrer Höhle verkriecht und die Dunkelheit braucht, aber sie verliert sich nicht mehr darin. Sie hat die Sonnenstrahlen zu schätzen gelernt, die sie gerettet haben.

Und von nun an, wenn die Dunkelheit sie umarmt, bleibt sie zuversichtlich, dass sie selbst die Kraft hat, wieder in die Sonne zu blicken.

Und an ganz schlechten Tagen sind die Sterne auch genug.

 

deutsch, lyrikMagdadeutsch